Cover
Titel
Roman Colonies in the First Century of Their Foundation.


Herausgeber
Sweetman, Rebecca J.
Erschienen
Oxford 2011: Oxbow Books
Anzahl Seiten
VII, 159 S.
Preis
£ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Daubner, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Während die griechische Kolonisation durch die Altertumswissenschaften bedeutend mehr Aufmerksamkeit erhalten hat, ist das Interesse an der römischen Kolonisation erst wieder in den letzten Jahren unter Stichwörtern wie Identität, Herrschaft oder Integration in den Vordergrund getreten. Trotz dieses Interesses fehlt betreffs der römischen Kolonisation eine epochen- und regionenübergreifende Debatte. Daher ist es schon an sich begrüßenswert, wenn, wie im vorliegenden Band, West- und Ostantikeforscher miteinander ins Gespräch kommen. Vieles wäre bei einem solchen Zusammentreffen zu besprechen. Mittlerweile sind alle früheren Erklärungsmodelle der römischen Kolonisation wieder in ihr Recht gesetzt worden: Die Aufgabe der Veteranenversorgung, die militärisch-strategischen Funktionen, die Bedeutung als Zelle der Romanitas im unterworfenen Land und das Rekrutierungspotential, das römische Kolonien bieten, spielen in der Diskussion allesamt wieder eine Rolle, obwohl keiner der früheren Forscher dies je so einseitig gesehen hat, wie es heute bisweilen dargestellt wird. Das nun angenommene Aufgabenkonglomerat führt freilich dazu, dass alles unscharf wird und sogar die römische Kolonie als Kategorie zu verschwinden droht. Das in gewisser Weise destruktive zusammenfassende Abschlusskapitel von Greg Woolf verortet die römische Kolonisation der späten Republik am Schnittpunkt dreier Entwicklungen, die nach den Eroberungen im Osten einsetzten: der Umverteilung, der Umsiedlung und der Urbanisierung. Er fragt demnach, warum den Koloniegründungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden solle. Die Kolonisation sei ohnehin keine länger währende Institution gewesen, es seien vielmehr in den verschiedenen Phasen und Regionen je neue Lösungen für neue Probleme gefunden worden, die mit dem traditionalistischen Ausdruck bezeichnet worden seien.

Von den acht Beiträgen des Bandes befassen sich drei mit dem Westen und fünf mit dem Osten des Reiches. Kalle Korhonen beschäftigt sich anhand der epigraphischen Zeugnisse mit der Verbreitung des Lateinischen und des Griechischen in den Städten Siziliens. Da es an literarischen Quellen fehlt – Sizilien ist ab der Kaiserzeit quasi geschichtslos –, ist dies der einzige Weg, etwas über die Zusammensetzung der Bevölkerung zu erfahren. Während im späteren 1. Jahrhundert v.Chr., als die fünf oder sechs römischen Kolonien gegründet werden, das Lateinische in großem Umfang verwendet wird und in den östlichen Städten (Syracusae, Catina und Messina) das römische onomastische System einige Verbreitung findet, dominiert in der Spätantike wieder die griechische Sprache, ganz anders als im ebenfalls stark griechisch geprägten Unteritalien. Wie die augusteische Veteranensiedlung Augusta Emerita zum Verwaltungszentrum der Provinz Lusitania wird, untersucht Jonathan Edmundson. Das neue Zentrum bezog seine Anziehungskraft wohl vor allem daraus, dass es größer als die bereits bestehenden Nachbarkolonien Norba Caesarina und Metellinum war und von Augustus und Agrippa dafür gesorgt wurde, dass baulich tatsächlich ein „kleines Rom“ geschaffen wurde. Auch das bereits im 2. Jahrhundert v.Chr. als latinische Kolonie gegründete Corduba, das später als Colonia Patricia neugegründet wurde, diente als Provinzhauptstadt und wurde mit Carraramarmor unter Anlehnung an die politische Topographie Roms prächtig ausgebaut, wie Alicia Jiménez und José Carrillo in ihrem Beitrag zeigen. Bei den iberischen Beispielen fehlt eine Diskussion darüber, ob der Ausbau der neuen Funktion folgte oder ob die Umgestaltung der Statuserhöhung vorausging. Auch die Bedeutung der Größe einer Stadt für ihre Struktur sollte diskutiert werden.

Die städtebauliche Entwicklung Korinths untersucht Paul Cotton. Er stellt fest, dass der Forumsbereich bis in die spätaugusteische Zeit hinein nahezu frei von Neubauten blieb – das Zentrum der römischen Kolonie befand sich wohl laut Cotton anderswo. Erst mit der Rückkehr der Isthmischen Spiele nach Korinth begann der monumentale Ausbau der Stadt und des Forums und wurde die große Basilika als Kaiserkultstätte eingerichtet. Das Thema des Beitrages von Inge Lyse Hansen ist die Zusammensetzung der städtischen Elite im epirotischen Buthrotum, das 44 v.Chr. und dann noch einmal unter Augustus als Kolonie gegründet wurde. Die neue Bevölkerung bestand vor allem aus Klienten und Freigelassenen reicher Stadtrömer. Ihnen und ihren einflussreichen Patronen war daran gelegen, der Stadt einen Sonderstatus zu verleihen, indem die mythologische Beziehung zur Gründung Roms im Aeneas-Mythos, wie sie sich am prominentesten in Vergils Epos findet, besonders betont wird. Eine Art Vergleich zwischen Buthrotum und Nikopolis strebt William Bowden an. Die ganz unterschiedlichen Gründungsvoraussetzungen der beiden Städte resultieren in ganz ähnlichen Ergebnissen: der kompletten Umgestaltung der sozialen und ökonomischen Basis der betroffenen Regionen.

Anhand der italischen gestempelten Sigillaten versucht Martha Baldwin Bowsky, dem Phänomen des Geschmackes der italischen Neusiedler in der kretischen Kolonie Cnossus sowie der einheimischen Eliten auf die Spur zu kommen. Schon früh sind die campanischen Gefäße nach Kreta gelangt, was aber nicht unbedingt an den campanischen Verbindungen der Einwohner von Cnossus, sondern eher an der Lage der Insel an der bedeutenden Getreideroute von Puteoli nach Alexandria gelegen habe. Jedoch muss eine gewisse Affinität der Bevölkerung der Stadt zu der Ware vorhanden gewesen sein, denn aus der Provinzhauptstadt Gortyn kennt man keine entsprechenden Funde. Zuletzt versucht Andrea De Giorgi, die unter Augustus in Pisidien gegründeten Kolonien als Zeugnisse eines augusteischen geopolitischen Programms zu lesen. Er meint, die Städte hätten der Erhöhung der Sichtbarkeit Roms und der Ausdehnung seiner administrativen Infrastruktur gedient. Seine detaillierte Schilderung der einzelnen Städte führt aber keineswegs zu einem solchen Schluss, der den Leser also etwas ratlos zurücklässt.

In ihrer Einleitung versucht Rebecca Sweetman, diese heterogenen Beobachtungen und Ergebnisse unter einen Hut zu bringen, was freilich nur funktionieren kann, weil sie bei allem recht vage bleibt. So trifft denn auch ihre Schlussfolgerung, „Colonies function as nodes in the Roman network society; there is little to be gained by forcing any particular cultural change on the city as the cities were of value primarily because of their location“ (S. 4), in gewisser Weise zu, auch wenn sie etwas modisch klingt. Wenn nur solche Kolonien untersucht werden, auf die dieser Schluss zutrifft, dann kann man ihn durchaus ziehen. Hier liegen denn meines Erachtens auch das Hauptproblem des Bandes und der Grund dafür, dass die angekündigte Zusammenschau nicht gelingt. Die Einzelbeiträge sind von hohem Wert, kenntnis- und ergebnisreich, jedoch nehmen sie auf kein gemeinsames Fragenraster Bezug und reagieren nicht aufeinander. Gerade in Verbindung mit Woolfs Nachwort entsteht der Eindruck, es gebe keine verbindlichen Kriterien für römische Kolonien mehr, und im Grunde seien die Unterschiede zwischen Kolonien und anderen Städten nicht größer als die Unterschiede zwischen einzelnen Kolonien oder die zwischen Nichtkolonien.

Dies ist ein Ergebnis, das man so nicht hinnehmen möchte. Immerhin blieb der Koloniestatus immer positiv besetzt; es ist kein Fall bekannt, in dem eine Kolonie keine Kolonie mehr sein wollte, selbst wenn mittlerweile alle Einwohner Griechisch sprachen und mit Rom gar nichts mehr zu tun hatten. Die römische Kolonie als historische Kategorie muss aufrechterhalten werden. Um dies zu erreichen, wären wohl eine umfassende Sichtung des gesamten Bestandes nötig sowie ein Komplex an Leitfragen, denen nachgegangen werden müsste. Gerade für die ersten 100 Jahre einer Kolonie bieten sich einige solcher Leitfragen an, etwa die nach der Bevölkerung, nach der Finanzierung, der baulichen Ausgestaltung oder nach den Patronageverhältnissen; die im Einzelnen immer zu erwartenden Unterschiede würden möglicherweise regionale, lokale oder zeitliche Horizonte eröffnen, innerhalb derer doch gewisse Gemeinsamkeiten der römischen Kolonie als Kategorie feststellbar wären. Wenn es an verbindlichen Leitfragen und an der nötigen zeitlichen Weite fehlt, dann entsteht – wie im vorliegenden Band exemplarisch zu studieren – das Ergebnis, dass die augusteischen Kolonien in augusteischer Zeit eine gewisse ‚Augusteischkeit‘ erkennen lassen. Diese Kritik zielt weder auf die Herausgeberin noch auf die Beiträger. Das real existierende Wissenschaftssystem fordert die kleinteilige, repetitive und im Grunde unangemessene Abhandlung von Forschungsthemen in unbedingt zu druckenden Kolloquien zuungunsten einer längerfristigen, aber vielversprechenderen Herangehensweise. Gerade auf dem lange Zeit ausgeforscht erschienenen Gebiet der römischen Kolonisation ist noch sehr viel an Grundlagenarbeit zu tun.

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